Chopin und Debussy

FAZIL SAY, Klavier

Frédéric Chopin (1810–1849)
Nocturne e-Moll op. post. 72 Nr. 1

Nocturne cis-Moll KK IVa, 16,
Lento con gran espressione, op. post.

Nocturne c-Moll KK IVb, 8, op. post.

 

Claude Debussy (1862–1918)

«Clair de lune» aus «Suite bergamasque»

Préludes aus dem Band I:

«La cathédrale engloutie» (Nr. 10)

«Ministrels» (Nr. 12)

«La fille aux cheveux de lin» (Nr. 8)

«La danse de Puck» (Nr. 11)

«Danseuses de Delphes» (Nr. 1)

«Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir» (Nr. 4)

 

Live aufgezeichnet am 2. August 2019 in der Kirche Saanen

Fazil Say widmet sich mit diesem Programm allen Facetten der Nacht. Say hat für seine mitreissenden Interpretationen zwei besondere Komponisten ausgewählt, nämlich Frédéric Chopin (dessen Nocturnes er auf einem sehr persönlichen Album eingespielt hat) und Claude Debussy.

Als Erfinder des Nocturnes gilt der irische Virtuose John Field (der Chopin nicht schätzt!). Der polnische Pianist bedenkt diese Gattung nicht nur mit seinen nobelsten Eingebungen, sondern erschafft auf dieser Grundlage einen für sein kurzes Leben beispielhaften Zyklus, ein aus 21 Stücken bestehendes «Testament», das seinen gesamten schöpferischen Lebensweg widerspiegelt. Der sehr auf seine Eigenständigkeit bedachte Chopin übernimmt von Fields Modell für seine Nocturnes nur die Grundstruktur, die stets einem immer gleichbleibenden Muster folgt: Eine anrührende kantable Melodie für die rechte Hand und gebrochene – arpeggierte – Akkorde für die linke. Davon ausgehend lässt er seiner Inspiration freien Lauf, wobei er viel Intuition be- weist, aber auch eine ungewöhnliche Fähigkeit, die grossen Gattungen der Vergangenheit neu erstehen zu lassen. In seinen Nocturnes finden sich stellen- weise, bisweilen auch gleichzeitig, Anklänge an den barocken Kontrapunkt (beim Aufbau harmonischer Spannungen), die klassische Sonatenform (bei der freieren Handhabung des Rhythmus) und die französische und italienische Opernarie (bei der «vokalen» Gestaltung der Melodie), was übrigens auch von seiner Bewunderung für den Belcanto seines Freundes Bellini zeugt, der ebenso wie er die Pariser Musikszene im Sturm erobert … und heute nur wenige Schritte von ihm entfernt auf dem Friedhof Père Lachaise begraben liegt.

Das Werk von Debussy kennzeichnet den Anfang eines neuen Zeitabschnitts in der Musikgeschichte, auch wenn der Komponist die Bezeichnung Avantgardist zurückweist: «Man bezeichnet mich als Revolutionär, dabei habe ich nichts erfunden. Ich habe höchstens Altes auf eine neue Art präsentiert. […] Meine musikalischen Verbindungen, über die man so verschieden spricht, sind keine Erfindungen. Ich habe sie alle gehört. Nicht in den Kirchen. In mir selbst.» Debussy führt Neuerungen im Bereich des Rhythmus, der Harmonie und der Form ein. Doch auch – und vielleicht vor allem – im Bereich der Klangfarbe, die, nachdem sie bei den romantischen Komponisten nur ein Parameter für die Nuancen war, bei ihm ein eigenständiges Element wird, das zu einem grossen Teil die formalen Verfahren bestimmt. Vladimir Jankélévitch schreibt dazu: «Jedes Prélude bringt eine Minute des universellen Lebens der Din-ge zum Stehen, einen Augenblick der Weltgeschichte, und er hält dieses universelle Leben […] ausserhalb von jedem Werden und jeder Folge an, ohne Beziehung zum Vorher oder zum Nachher. Diese zeitlosen und zugleich vorübergehenden Bilder formen einen bunten Wandteppich aus flüchtigen Eindrücken.» Debussy überlieferte der Nachwelt nacheinander zwei Zyklen von Préludes: Der erste Band entsteht in der kurzen Zeit zwischen Dezember 1909 und Februar 1910, während die Entstehungsgeschichte des zweiten schwieriger nachzuzeichnen ist.

Clair de Lune, ein Gedicht von Paul Verlaine aus seiner Sammlung Fêtes galantes, verzaubert 1890 den jungen Claude Debussy, eröffnet es ihm doch eine von der Commedia dell’arte inspirierte Welt der subtilen Empfindung. Daraufhin vertraut der französische Komponist dem Klavier die Grundzüge eines wahrlich persönlichen Stils an, der schon auf das Prélude à l’après-midi d’un faune und Nuages vorausweist. Das Werk mit dem Titel Suite bergamasque – ein Hinweis auf Verlaine und die urspüngliche Verbindung zwischen Bergamo und seinen Masken – besteht aus vier Sätzen. Clair de lune nimmt nach dem Prélude und dem Menuett die dritte Stelle ein; den Abschluss bildet der Passepied.

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